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„Ohne Arbeit, früh bis spät / wird dir nichts geraten./ Der Neid sieht nur das Blumenbeet/aber nicht den Spaten.“ Anfälligen für diese Todsünde, die die Heilige Lioba bereits im Mittelalter zeitlos gültig formuliert hat, sei daher abgeraten, in dieses Buch zu schauen:
Der amerikanische Original-Titel trifft deutlich besser, worum es auf 268 vollgepackten Seiten geht: „The Art of LEGO® Design: Creative ways to building amazing models“. Um die KUNST geht es also, aus den Steinchen etwas zu machen, und der es wagt, diesen lauten Anspruch zu erheben, ist nicht irgendwer, sondern Jordan Schwartz. Er war zu seiner Zeit der jüngste AFOL, der es praktisch noch als Schüler aus seiner katholischen Gemeinde an der amerikanischen Ostküste ins Bestbewachte der LEGO Company geschafft hat, nämlich in die Entwicklungsabteilung im verregneten, reizlosen Billund. (Von diesem Kaff erzählt er mit kaum verdautem Schaudern schon in dem Buch „Beautiful LEGO®“.)
Hast du den LEGO-Blick?
Jordan Schwartz zeichnet für eine Reihe von Creator-Sets verantwortlich, und es wird viele geben, die seine vorschriftsmäßig gestalteten Kreationen nach Anleitung brav zusammengesetzt haben, beispielsweise den Creator-Abschlepptruck aus dem Jahre 2012. In seinem Buch nun bringt er nicht eine einzige Bauanleitung, dafür etwas viel Wichtigeres, nämlich eine fundierte Anleitung dafür, wie man baut. Und das fängt nicht damit an, dass man in den Steinen wühlt, sondern damit, dass man die Augen aufmacht: „Sie müssen lernen, alles mit „LEGO-Augen“ zu sehen – das heißt, die Welt mit LEGO-Elementen und –Farben im Hinterkopf zu betrachten und sich vorzustellen, wie ein Objekt aussehen könnte, wenn es aus LEGO-Steinen gebaut wäre.“ (S.2)
Binsen- und andere Weisheiten
Das mag man eine Binsenweisheit nennen und für einen AFOL selbstverständlich finden, aber hier steht es, zusammen mit anderen zahllosen Tipps dieses Kalibers, endlich einmal aufgeschrieben und sorgfältig ausgeführt, geradezu wissenschaftlich und mit unendlicher Lust an der Sache. Schon ein flüchtiger Blick ins Inhaltsverzeichnis: „Wohin mit dem Batteriekasten?“, „Farbtöne mischen“, „Bauen mit Gummibändern“ verheißt, dass hier Bautechniken der Spitzenklasse vorgestellt werden – und das derart anschaulich, sehenswert und auf das Lesbarste beschrieben, dass es eine Wonne ist, sich in diesem Buch fürs Erste zu verlieren.
Der Meister macht die Übung!
Wir haben es in Jordan Schwartz nicht mit einem eitlen Angeber zu tun, sondern mit einem bescheidenen jungen Mann, der den Wert seiner Arbeit selber am besten einzuordnen weiß: „In so konzentrierter Form, … mögen manche dieser Techniken ganz einfach klingen, allerdings ist viel Zeit erforderlich, um sie in der Praxis zu beherrschen.“ (S. 259) Da haben wir den „Spaten“ aus dem Lioba-Zitat: Zeit und Übung machen die Meister. Dieses ebenfalls nicht eben neu klingende Credo durchzieht auch die zahlreichen Interviews, die Schwartz mit seinen Fachkollegen – nein, nicht irgendwo da oben auf dem Olymp, sondern ganz irdisch und im Hier und Jetzt geführt hat: Üben, ausprobieren, abreißen, neu bauen, unzufrieden bleiben: „Es macht mich wahnsinnig, wenn ich die Räder nicht genau da anbringen kann, wo ich es beabsichtigt habe, und ich verwende alle möglichen verrückten Verbindungen, um sie um einen Bruchteil eines Zentimeters zu verlegen.“ (Adam Grabowski, Autoexperte, S. 187)
Die Wasserkocher und der „Purismus“
Sie kochen ja auch alle nur mit Wasser!, möchte man da ausrufen. Das schon, ja, aber Topf und Feuer: die muss man auch erstmal zur Hand haben. Jordan Schwartz und seine überwiegend amerikanischen Kollegen haben eine – nun ja – beneidenswert ausgestattete Küche, und es ist für die Pätzold-Brüder von der „Brick Time“ sicher eine besondere Ehre, mehrfach mit Bildbeispiel in diesem Buch erwähnt zu werden. Allen gemein ist ein erstaunlich entspannter Umgang mit den ungeschriebenen (und unwichtigen) „Regeln“; die die „Puristen“ aufgestellt haben. Da werden zum Beispiel Steine fröhlich mit einem Filzstiften „ergänzt“ (s. 170), und sogar der Autor selber gibt zu, für seine Beleuchtungen (sehr spannendes Thema! S. 112 ff) auf Fremdprodukte zurückzugreifen. (S. 119) Darf man das denn? fragt sich der von der aufgeblähten Fremdteil-Debatte verunsicherte AFOL. Und die klare Antwort findet sich in „LEGO kreativ“: Ja, man darf. Punkt. Denn: „Außerdem entwickelt die LEGO-Gruppe das LEGO-System ständig weiter und verbessert es, und sowohl offizielle Designer als auch Fans denken sich immer wieder neue Techniken aus.“ (S. 259) Das Fremdteil von heute kann also durchaus der „offizielle“ Stein von morgen werden.
Von nix kommt nix
Nach einer breit angelegten Einleitung, die auch Aspekte wie die Gestaltung des Arbeitsplatzes umfasst, schlägt Schwartz einen weiten, weiten Bogen über die vielfältigen Themen- und Bauwelten, in denen er sich bewegt, und er verbirgt zu keinem Zeitpunkt, dass das alles nicht von ungefähr kommt. Eine (der übrigens zahlreichen und perfekt inszenierten) Abbildungen wirft einen Blick auf seine Bibliothek, und in dieser wimmelt es von Kunstbänden, die er allein dafür zu haben scheint, um Baublockaden zu überwinden (auch so ein Thema!) „Mein Bücherregal kann mich mit Millionen Ideen für Modelle versorgen.“ (S.10). Im konkreten Beispiel heißt: Man muss von Colani schon mal was gesehen haben, wenn man ein Raumschiff der „Colani-Klasse“ goutieren, geschweige denn bauen können will. (Der gut sortierte Index macht es übrigens zum Kinderspiel, ein solches zunächst flüchtig überlesenes Stichwort auf Anhieb auf den Seiten später wiederzufinden. Hier weiß ein Autor, wie man mit einem Buch umgeht und es für den Leser benutzerfreundlich macht!)
Größe ist gar nichts
Wenn man jetzt aber denkt, dass die Größe eines MOCs das Entscheidende ist, so lehrt der Autor, der umso virtuoser mit dem Material umgehen zu können scheint, je kleiner die Teile werden, eher das Gegenteil: „Betrachten Sie alles als Bauelement!“ (S. 15). Auch das ist eine Binse, aber eine gewöhnliche Pistole als Verbindungsstück eines Hydrantsteines zu einem 1x1-Clip einzusetzen, darauf muss man erstmal kommen. Und schon legendär ist Schwartzens Einfall, aus einem umgestülpten Autoreifen einen Kraken zu schaffen. Schon klar: wem solche Ideen kommen, der gehört nach Billund, und da war der junge Mann ja schon. Es ist nebenbei auch ein intimer Einblick in die Denke eines LEGO-Lohn-Designers und allein schon deswegen ist dieses Buch lesenswert. (Und wie dann erst sehenswert!) Es verdankt sich dem weiteren Glücksfall, dass der Autor Schreiben als seine zweite Leidenschaft bezeichnet, und das spürt man in jedem Satz. Derart anschaulich, bescheiden und sprachlich fettfrei hat man noch nie jemanden über LEGO philosophieren hören. Der junge Mann vereinigt zwei überaus seltene Begabungen, und wir wollen doch mal stark hoffen, dass wir nicht zum letzten Mal von ihm gehört haben.
Jordan Schwartz: LEGO kreativ. Außergewöhnliche Wege zu tollen Modellen. dpunkt.verlag Heidelberg 2014, 268 Seiten, 24,99 Euro. Auch als kindle erhältlich.
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Zechstein, 17.10.2014, 06:01 in Presse/Radio/TV | Views: 3935 | Tags: Buch